radikale nominalisierung
Radikale Nominalisierung kündigt sich an. Mit dem Streichen des Modells
aus der Wissenschaft wird das an sich negativ formulierte
Erkenntnisprinzip "Eine wissenschaftliche Erkenntnis kann nur widerlegt
werden, niemals bewiesen"[1] aufgegeben.[2] Der kritische Rationalismus
wird überwunden. Big Data ist nicht realistisch. Der Verzicht auf das
Modell ist gleichzeitig ein Verzicht auf den "realen Grund"
erscheinender Natur.
Es ist damit ein Positivismus, in dem nur das als Reales anerkannt wird
was die Protokollsätzen festgehalten. Ist es im Logischen Positivismus
eine formale Reduzierung der Welt auf Protokollsätzen so wird mit Big
Data ernst gemacht mit den Forderungen nach dem Festhalten der
Wirklichkeit als Protokollsätze. Eine immer größere werdende Anzahl an
Sensoren schreiben Protokollsätze die einen positiven Gehalt über die
Wirklichkeit aussagen: Wetterstationen registrieren die Temperatur an
einem spezifischen Ort und zu einer spezifischen Zeit, Facebook, dass
xxx yyy mag, GPS dass sich ein Handy zur gleichen Zeit in der Nähe eines
anderen befindet. Algorithmen verarbeiten diese Ereignisse zu
Korrelationen. So "[...] war der Positivismus konsequent zu
radikalstem Nominalismus fortgeschritten: Beobachtungen und Gesetze
sollte es einzig als korrelative Bestimmung in einem System von Aussagen
geben."[3]
Dieser Positivismus in Big Data ist aber kein logischer Positivismus.
Formal ist ein, auf einem Computer (einer Turing Maschine), ausgeführtes
Programm selbstverständlich im strengen Sinne logisch. In der
Wirklichkeit jedoch sind Computer und Programme ein von Menschen
erzeugtes Produkt in einer wirklichen Welt, die sich nicht in ihrer
Formalität erschöpft:
"A novice asked the master: 'I have a program that sometimes runs and
sometimes aborts. I have followed the rules of programming, yet I am
totally baffled. What is the reason for this?' The master replied:
'You are confused because you do not understand Tao. Only a fool
expects rational behavior from his fellow humans. Why do you expect it
from a machine that humans have constructed? Computers simulate
determinism; only Tao is perfect.'" [The Tao Of
Programming
4.2]
Ungeachtet dieses Argumentes, das sich der gegebenen Wirklichkeit
bedient, ist auch formal festzustellen, dass Big Data nicht logisch ist,
denn Induktion ist kein gültiges Schlussmittel, aber Induktion ist das
Prinzip der Korrelation. "Daher hat der induktive Übergang von einem
beobachteten Bedingungsverhältnis zu dessen allgemeiner Gültigkeit
'keine logisch strenge Berechtigung."[4] Induktion kann nur als
"vollständige
Induktion"
logisch sein. "Das positivistische System der physikalischen als der
allein rationalen Aussagen umhüllt eine Sphäre des Irrationalen."[5] In
der Reduktion der Wirklichkeit auf "[...] korrelative Bestimmung in
einem System von Aussagen"[6] ist der Logische Positivismus ein
Idealismus, die Welt wird zu einem System von Aussagen, zu Geist. Einen
Subjektivismus. Im Gegensatz zum Logischen Positivismus ist Big Data ein
objektiver Idealismus. Berkleys "Sein heißt Wahrgenommen
werden"
kommt dem nahe, ist es bei Barkley Gott, der uns alle wahrnimmt und so
im Dasein hält, ist es bei Big Data das Netz.\
Und worauf bezieht sich Korrelation? Es scheint als sei das "Gesetz der
großen Zahlen" das einzige universale mathematische Prinzip.[7] Also
worauf bezieht sich Korrelation? Es bleibt so unklar, wie es der
Mechanismus der Bilderkennung bei Google oder FB ist.[8] Die großen
neuronalen Netze sind analytische Blackboxen, sie werden trainiert. Der
[Backpropagation]{.st}
Algorithmus ist gut bekannt, trotzdem haben wir keine Kenntnis, wie die
Erkennungsleistung per Deep learning realisiert wird. Ist Poppers
Kritischer Rationalismus abgleitet aus der Erkenntnis "das wir die
wahren Sätze nicht von den falschen unterscheiden können" und "bleibt
ihm nur der Sprung ins Irrationale: das >>methaphysische Glauben<<
an reale erkennbare Gesetzmäßigkeiten in der Welt"[9], verschiebt Big
Data dieses Unwissen in die Algorithmen und Maschinen. Zwar sind die
Beschreibungen der Algorithmen verfügbar, aber die Beschreibung einer
Methode ist nicht identisch mit dem Wissen und dem handhabenden
Gebrauch. Das ist Searles Chinesisches
Zimmer
Argument.\
Ist es bei Poppers Kritischen Rationalismus der irrationale Akt des
Glaubens an eine gegebene Welt, die erkennbar ist, so siedelt Big Data
das Irrationale weit außerhalb des subjektiven Bereiches an, mitten in
das Objektive, in die Maschinen und Programme. In dieser
externalisierten Irrationalität kündigt sich ein neues mystisches
Zeitalter an. Mystisch, als das die Opferung von Daten wie das Opfer des
Lammes die Götter gnädig stimmen mag auf dass sie Regen schicken oder
ein Gesicht erkennen, eine neue Konsumentengruppe oder einen
Terroristen. Mystisch weil pantheistisch: "Die Natur ist verstummt,
aber die Maschinen werden auf einmal lebendig."[10] Und mystisch vor
allem, weil diesem Denken die kritische Reflexion fehlt.\
Big Data ist positivistisch sowohl in der Feststellung von
Protokollsätzen über die Welt, als auch in den Korrelationen. In den
Korrelationen wird der normative Charakter sichtbar, die positive
Bestimmung erfasst auch sie: Die Konsumentengruppe, der Terrorist, als
Ergebnis der Korrelation positiv bestimmt, setzt Prozesse in Bewegung,
die am Ende die Wirklichkeit nach der positiven Bestimmung ausrichten.
Sind es Marketingstrategien, die implementiert die Konsumentengruppen
erzeugen, oder die administrativen Prozesse, die Drohnen-Einsätze nach
sich ziehen und Menschen töten: Die positive Bestimmung verwirklicht
sich selbst.
Es ist kein Zufall, dass diese nicht logische positivistische Position
in das Zeitalter des Neoliberalismus fällt. Das neoliberale und das
positivistische Denken teilen sich die partikulare Einstellung. Geht im
neoliberalen Denken das Wohl vom Einzelnen aus, als der atomaren Einheit
eines Treibens namens "Markt", ist dieser Markt eine Sammlung
partikularer Interessen, die monadenhaft in sich selbst verschlossen
sind. Ein unzusammenhängendes System ohne innere Kohärenz.
Wahr ist was verkaufbar ist. Von der objektiven Grundlage entkoppelt
gibt es kein Realgrund für dieses wirtschaftliche handeln, nur die
Beliebigkeit der Wahl. Gekauft wird was gefällt, allein ist das Gefallen
normativ bestimmt. An der Mode ist es abzulesen: Das wir neue Moden
anfänglich als hässlich empfinden, so wie wir es mit den vergangenen
tun, liegt an der normativ wirkenden Funktion der Adaption. Neue Mode
gefällt erst, wenn die Wahrnehmung die Empfindung adaptiert hat, wenn
sie unserem Nervensystem oft genug präsentiert wird. So versteht sich
auch der Bruch mit den vergangenen Moden. Die Adaption schreitet voran
und das ehemals Gefällige gefällt nicht mehr. Es wird nicht mehr
vorgehalten: Die erstaunlichen Frisuren der 80'er, fremd und peinlich,
so wie die Hornbrillen der 50'er, für die Menschen der 80'er. Allein
freuen die Hornbrillen das heutige Auge wieder, werden sie wieder oft
präsentiert.\
Wenn wahr ist, was verkaufbar ist, wird der Markt die zweite Natur, in
der sich das Produkt zu bewähren hat. Durch die Totalisierung des
Marktes sind wir alle
Produkt,
und müssen uns bewähren. So werden wir zu dem von B.C. Han beschriebenen
Projekt. "Das Projekt, zu dem sich das Subjekt befreit, erweist
sich heute als Zwangsfigur, es entfaltet Zwänge in Form von Leistung,
Selbstoptimierung und Selbstausbeutung."[11] Das Heute, von dem Adorno
und Horkheimer hier sprechen, ist 70 Jahre alt:"Heute, da der freie
Markt zu Ende geht verschanzt sich in ihr [der Reklame, (Einfügung des
Autors)] die Herrschaft des Systems."[12]
Ist im logischen Positivismus Bidirektionalität vorausgesetzt und ist
damit eine spezifische Zuordnung möglich, ist die Kausalität, die sich
in dieser Zuordnung ausdrückt, der Korrelation gewichen. In der
Korrelation werden Mengen von Punkten zusammengefasst. Hängt an dem
partikularen Ereignis noch die Folge, als Ergebnis einer Ursache, bleibt
die Folge in der Korrelation unbestimmt. Selbst der als äquivalent
definierte Wert, der Preis der Ware, ist kein einzelner Lösungspunkt
einer linearen Gleichung mehr, mit Big Data wird der Preis zu dem Preis,
den man bereit ist zu bezahlen. Er wird zu dem, was er im Geheimen immer
schon war: [einen beliebigen Datum.
](http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-10/absolute-preisdiskriminierung)
Partikulare Einheiten gesammelt und verarbeitet, darauf bezieht sich
Korrelation. Es ist dieselbe Korrelation, die im mystischen Denken die
Beziehung zwischen Tat, göttlichem Wirken und Dasein knüpft. Es ist
dasselbe unkritische Denken, Big Data ist nicht kritisch. Dieses Denken
gibt das Schicksal aus der Hand. Am Schicksal hängt die Geschichte und
an der Hand das Handeln. "Das Verb für die Geschichte ist
handeln"[13] Das Subjekt handelt nicht mehr, im besten Falle wird es
behandelt als Gegenstand einer Korrelation. So zieht das Zeitalter der
Entscheidungsmaschinen
auf. Als "handlos fingernder Mensch"[14] verwandelt wir uns zurück in
die einfache Form des Deutenden.[15]
Das unmündige Kind, das unfähig ist zu gehen oder zu sprechen, zeigt mit
den Fingern.
- Falsifikationsprinzip,
Karl Popper\ - Der Paradigmenstreit der Wissenschaft ist ablesbar im z.B. "Human Brain Project
(HBP)" Wo bleibt das
Hirn?
Konkret gesprochen klingt es so: "Ich kann den aktuellen Großprojekten, die an der Simulation des Gehirns arbeiten, nur viel Glück Wünschen. Aus meiner Sicht liegt eine theoretische Neurobiologie, die diesen Namen verdient noch in weiter Ferne." (Gerhard Roth, Gehirn und Geist, 3/2014, S.66) - Karl Heinz Haag, "Der Fortschritt in der Philosophie", Surkamp, 1.Auflage 1983, S. 146
- eben dort S. 139
- eben dort S. 161
- eben dort S. 146
- Terence Tao, Spektrum der Wissenschaft 1.2014 S.60
- Diese neuronalen Netze werden trainiert, nicht programmiert. (Brian
Hayes, Spektrum der Wissenschaften 9.2014, Seite 62.
oder Ct Wovon traeumen neuronale Netze - Karl Heinz Haag, "Der Fortschritt in der Philosophie", Surkamp, 1.
Auflage 1983, S. 146 - Danilo Flores, Hohe Luft 6/2014, S.40. Es spielt auf die "Singularity is near" Hypothese Ray Kurzweil u.a. an.
- Byung-Chul Han, "Im Schwarm, Ansichten des Digitalen", 2013 MSB, S. 65
- Horkheimer/Adorno, "Dialektik der Aufklärung", Fischer Verlag 21 Auflage 2013, S.171
- Byung-Chul Han, "Im Schwarm, Ansichten des Digitalen", 2013 MSB, S. 45 14. eben dort S.48
- Deuten meint hier Zeigen, nicht Erklären.